Warum wünschen glücklich macht

 

Anna Miller •  3 Minuten

Wer wünscht sich denn heute noch was, wenn wir doch alles sofort kriegen? Und sind wir je wunschlos glücklich? Ein Gespräch mit der Kuratorin Alexandra Könz, die die Ausstellung «unMÖGLICH?» konzipiert hat.

Dr. phil. Alexandra Könz, Operative Leitung Vögele Kultur Zentrum

Frau Könz, lohnt sich das Wünschen als Erwachsene noch oder muss man dafür ans Christkind glauben?

Alexandra Könz: Unbedingt und ganz unabhängig von Weihnachten sollten wir alle noch Wünsche haben. Weil Wünsche existenziell für uns sind. Wer Wünsche hat, blickt damit nach vorne, wir formulieren ja damit eine Art Zukunft, erhoffen uns Veränderung. Das macht Mut. Wir würden uns als Menschen nicht entwickeln, wenn wir nicht wünschen würden, was wir nicht haben oder was nicht ist.

Warum nicht?

Weil dann ja alles gut wäre. Wir wären wunschlos glücklich. Im wahrsten Sinn des Wortes.

Ich dachte, das wäre das Ziel eines guten und wunschlosen Lebens?

Nicht unbedingt. Wenn sich alle Wünsche immer sofort erfüllen, macht das auch träge.

Und gierig. Man will dann auch immer mehr. Und oft auch das Falsche. Oder nicht?

Viele Menschen assoziieren mit Wünschen den Wunsch nach einem materiellen Gut. Beispielsweise ein Geschenk zu Weihnachten. In Industriegesellschaften können wir auch grundsätzlich davon ausgehen, dass sich solche Wünsche erfüllen. Nicht die ganz verrückten. Doch die meisten von uns können sich Dinge im Alltag, die wir haben wollen, innert kurzer Frist selbst besorgen.

Wer sich aber überlegt, was gewisse Wünsche repräsentieren, der schafft Klarheit für sich und andere.
— Alexandra Könz

Und früher?

Früher konnten sich nur die Reichen und Mächtigen überlegen, was sie wirklich wollen, jenseits der Kategorien Schlafen, Essen und Überleben. Wünsche, die man sofort umsetzen kann, sind ein Privileg. Hinter dieser Art von Wünschen steckt aber oft etwas Tieferes.

Was meinen Sie damit?

Dinge, die ich per Knopfdruck bestellen kann, spiegeln nicht direkt meine innersten Wünsche wider. Sie stehen stellvertretend für ein Grundbedürfnis. Wie beispielsweise, gesehen zu werden. Selbstausdruck. Autonomie. Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Nehmen Sie sich also ruhig einmal die Zeit und hinterfragen Sie, warum Sie konsumieren, was Sie konsumieren. Ich beispielsweise liebe farbige Kleider. Und ich dachte neulich, ach, ich kann nicht schon wieder eine gelbe Jacke kaufen. Aber ich habe realisiert: Das gibt mir Kraft. Ich brauche das für meinen Selbstausdruck. Aber ich brauche nicht fünf davon.

Auch materielle Wünsche machen also Sinn?

Ja, durchaus. Darin ist auch nichts Schlechtes. Man kann sich ja mehr Einkommen wünschen, um es sinnlos zu verballern oder um damit Gutes zu tun. Das Motiv ist ja auch noch entscheidend. Wer sich aber überlegt, was gewisse Wünsche repräsentieren, der schafft Klarheit für sich und andere. Oft wird es aber komplizierter, wenn es um die wirklich grossen Wünsche geht. Solche, die wir tief in uns tragen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Den Wunsch nach einer neuen Partnerschaft. Einem Jobwechsel. Einer Weltreise. Oft nennen wir diese Wünsche Träume. Dann kommt rasch der Kopf, der sagt: Das ist unmöglich. Das ist zu kompliziert. Da stehen zuviele Hindernisse im Weg. Dabei wüssten die meisten Menschen tief in ihnen drin, was sie sich wirklich ersehnen. Doch wenige setzen diese Art von Wünschen in die Tat um. Was schade ist. Denn wenn Sie sich den Wünschen nie widmen, entwickeln Sie sich nicht weiter.

Woran liegt es, dass viele Menschen sich ihre tiefen Wünsche nicht so recht erlauben?

Der Mensch ist bequem. Er mag im Grunde keine Veränderung. Gleichzeitig sehnt er sich nach Freiheit und Abenteuer, aber Wandel macht auch Angst. Man hat Angst vor den Konsequenzen. Weil jeder Wunsch eine Veränderung nach sich zieht. Jeder Wunsch hat einen Preis. Sobald es um immaterielle Wünsche geht, zahlen wir mit Mut, mit Energie, mit dem Bruch aus alten Gefügen. Viele haben Angst vor dem Scheitern. Oder wollen das Risiko nicht tragen.

Wünsche sind also immer auch ein Risiko?

Ja, weil das Endergebnis anders herauskommen kann als gedacht. Es gibt doch dieses Sprichwort: «Pass auf, was du dir wünschst, es könnte wahr werden.» Aber das macht auch den Zauber des Wünschens aus: Man kann sich mit einem Wunsch in die Zukunft denken, sich die schönsten Dinge ausmalen. Man schafft Möglichkeiten, eine Perspektive. Das alleine, die reine Vorstellung, gibt uns Kraft. Wir werden zufriedener, schütten Glückshormone aus.

Wünschen ist also eine Kraftquelle.

Genau. Indem ich beginne, mir einen Wunsch, den ich habe, genauer anzuschauen, beginne ich auch damit, Möglichkeiten zu prüfen. Das ist nicht immer einfach, weil das auch bedeutet, dass ich mich der Realität stellen muss. Ist dieser Wunsch wirklich in die Tat umzusetzen? Passt er zu mir? Ist es mein innerster Wunsch oder sind es vielleicht Erwartungen, die andere oder die Gesellschaft an mich stellen? Widme ich mich meinen Wünschen, ergeben sich zwei Möglichkeiten: Ich laufe los und setze in die Tat um oder ich lasse den Wunsch los.

Einige sagen, es reicht, mir etwas vorzustellen, als sei es schon real existent, und schon gehen meine Wünsche in Erfüllung.

Reines Manifestieren ist Humbug. Aber das ist etwas anderes als das Ziel zu visualisieren und dann zur Tat zu schreiten. Für die Erfüllung eines Wunsches ist es wichtig, dass ich die Hindernisse, die auf mich zukommen, realistisch einschätze. Erst so entwickle ich auch einen Plan, diese Hindernisse zu überwinden und wachse an meinen Aufgaben. Deshalb ist es so wichtig, dass der Wunsch nicht unmöglich ist, sondern zumindest im Bereich des Unwahrscheinlichen, aber nicht ausgeschlossen.

Oft versteifen wir uns so sehr auf einen Wunsch, dass wir uns den alternativen Möglichkeiten verschliessen, die da noch vor uns lägen, die unser Leben bereichern.
— Alexandra Könz

Scheitere ich damit nicht automatisch?

Gar nicht. Sie können nur gewinnen. Entweder Sie setzen in die Tat um und können beobachten, wie etwas, von dem Sie vor einem Jahr noch dachten, es sei unmöglich oder unwahrscheinlich, real wird. Oder Sie können etwas, das Sie behindert, endlich loslassen. Und sagen: Dieser Wunsch wird sich nicht erfüllen, und ich verabschiede mich jetzt von dieser Idee. Auch das befreit. Und setzt neue Energien frei.

Das ist aber einfacher gesagt als getan. Beispielsweise bei einem unerfüllten Kinderwunsch.

Wenn ich mir etwas sehnlichst wünsche, kann es natürlich sehr frustrierend sein, wenn der Wunsch sich nicht erfüllt. Erst recht, wenn es sich um grosse Lebensthemen handelt wie der Wunsch nach einem Kind oder Frieden mit den Eltern zu schliessen. Doch auch hier müssen wir manchmal sagen können: Okay, dann ist es eben nicht so. Loslassen ist sehr wichtig. Oft versteifen wir uns so sehr auf einen Wunsch, dass wir uns den alternativen Möglichkeiten verschliessen, die da noch vor uns lägen, die unser Leben bereichern. Das kann krank machen.

Darf ich Jemandem nur das Schlechteste wünschen?

Es ist gut, böse Wünsche zu haben. Das ist ein Ventil, um mal innerlich Dampf abzulassen. Nur, weil Sie einen schwachen Moment haben und die neue Freundin des Ex-Partners auf den Mond wünschen, tun sie ihr trotzdem nichts an. Sich aber innerlich erlauben, alle Schande zu sagen, kann helfen, Gefühle zu integrieren. Böses wünschen ist also völlig okay, solange es nicht ins Pathologische geht.

Ich wünsche mir, dass wir Erwachsene das Wünschen ein bisschen mehr so angehen würden wie Kinder. Einfach mal staunen, spielerisch damit umgehen.
— Alexandra Könz

Was wünschen Sie sich eigentlich?

Ich wünsche mir... Ich muss kurz überlegen, ich habe viele Wünsche. Ich wünsche mir viel Zeit, kreativ zu sein und viele Ideen umzusetzen und so andere Menschen zu inspirieren. Und dass wir als Gesellschaft das Zwischenmenschliche gut pflegen.

Und ein wenig pragmatischer?

Viele Dinge kann ich mir eben selbst erfüllen. Deshalb: Ich wünsche mir einfach eine schöne Zeit mit meinen Freunden und Eltern, weil ich weiss, wie schnell das zu Ende gehen kann. Ach, und: Ich wünsche mir, dass wir Erwachsene das Wünschen ein bisschen mehr so angehen würden wie Kinder. Einfach mal staunen, spielerisch damit umgehen. Und einfach mal fest daran glauben, dass der Wunsch in Erfüllung geht.


Das Interview erschien in der Aargauer Zeitung am 28.12.2021.

Alexandra Könz (*1976) studierte Germanistik, Filmwissenschaft und Kunstgeschichte in Zürich und Berlin und promovierte anschliessend zum Erzählen in zeitgenössischer Performancekunst in Zürich und Wien. Seit jeher in Kunst, Kultur und Wirtschaft tätig, setzt sie sich seit Oktober 2019 als Operative Leitung im Vögele Kultur Zentrum für eine vielfältige Auseinandersetzung mit Gegenwartsthemen ein.