Das ewige Warten

 

Vögele Kultur Zentrum

Wir warten jeden Tag: Auf den Zug, eine Auskunft oder auf die grosse Liebe. Und jeder «homo expectans» geht anders mit den «zwangsverordneten» Pausen um. Einige freuen sich über eine kurze Auszeit vom stressigen Alltag, andere werden nervös oder ärgern sich. In der Ausstellung alles zur Zeit. Über den Takt, der unser Leben bestimmt (2017) haben wir uns auch mit dem Warten beschäftigt. Unterschiedliche Menschen haben uns erzählt, ob sie gerne warten und wie sie diese Zeit verbringen:

Auch die Statistik interessiert sich fürs Warten. Dabei kommen humorvolle wie auch nachdenklich stimmende Resultate ans Tageslicht. So beispielsweise im Strassenverkehr. Laut dem Bericht des Bundesamtes für Strassen gab es 2018 in der Schweiz insgesamt 25'366 Staustunden auf den Nationalstrassen. Die guten Neuigkeiten: Das sind rund zwei Prozent weniger Stunden als im Vorjahr. Schaut man sich die Entwicklung über einen längeren Zeitraum an, ist das immer noch viel mehr Zeit als vor ein paar Jahren:

Stauentwicklung 2000-2018

Quelle: Bundesamt für Strassen. Verkehrsentwicklung und Verfügbarkeit der Nationalstrasse. Jahresbericht 2018.

Im europäischen Vergleich steht die Schweiz aber gut da. Im INRIX-Report, der sich wissenschaftlich mit dem Phänomen «Stau» auf der ganzen Welt beschäftigt, sucht man helvetische Städte lange auf dem Ranking. Die Spitzenreiter sind Rom und Paris. Dort verbrachten Autofahrer 2019 durchschnittlich 165 Stunden im Stau. Die Schweiz ist erst auf Rang 70 zu finden: In Lugano steht man pro Jahr etwa 89 Stunden still. Zürich taucht mit 50 Stunden erst auf Platz 161 auf.

Wer weniger warten will, findet im öffentlichen Verkehr eine relativ pünktliche Alternative. Die SBB toleriert drei Minuten Abweichung vom Fahrplan, danach gilt ein Zug, Bus oder Schiff als verspätet. In anderen Ländern ist der Schwellenwert einiges höher, bis zu zehn Minuten. Im Schnitt sind in der Schweiz 90 Prozent der Züge pünktlich. Wer es ganz genau wissen will: Die SBB dokumentiert ihre Verspätungen akribisch. Auf der Webseite pünktlichkeit.ch kann man von einem Tag bis zu einem Jahr die Pünktlichkeit praktisch aller Schweizer Zugverbindungen verfolgen.

Die Wartezeit im Auto oder den öffentlichen Verkehrsmitteln ist zwar ärgerlich, sie verursacht aber wenig Schaden. Das ist bei der Organspende anders. Für bestimmte Organe gibt es jahrelange Wartelisten. Wie viele Tage man durchschnittlich auf ausgewählte Organe wartet, hat Swisstransplant im Jahresbericht 2018 zusammengetragen:

Wartezeit Organspende

Quelle: Swisstransplant. Jahresbericht 2018.

Manchmal ist warten unangenehm, manchmal erholsam. Einige versuchen, die Wartezeit «totzuschlagen»: mit Newstickern, Online-Spielen und Youtube-Videos. Man kann das Warten aber auch als geschenkte Zeit verstehen, die nicht in der Verwertungslogik unserer Gesellschaft einkalkuliert ist. Zeit, inne zu halten und sich seinen eigenen Gedanken zu widmen. Denn «alles nimmt ein gutes Ende für den, der warten kann». Das wusste schon Tolstoi.

• Mai 2020


 
Daniel Vuilleumier