Kultur zwischen Shutdown und Easy Living, Teil 2

 

Alexandra Könz • 10 Minuten

Stillstand, keine Veranstaltungen, kein Einkommen, ungesicherte Existenzen, Stress, drohende Krankheit, einerseits – andererseits auch Zeit für sich und die Liebsten, zum Lesen, Nachdenken oder um (endlich) neue Projekte anzupacken: In diesem Spannungsfeld bewegten sich Kulturschaffende während des Lockdowns (der sich für manche wie ein kompletter Shutdown anfühlte) im Frühling 2020 und grösstenteils auch jetzt, Monate später. Was bedeutet dieser Einschnitt für die individuellen Lebensbedingungen und das Schaffen im Kulturbereich? Diesen Fragen bin ich in persönlichen Gesprächen nachgegangen.

Zwischen März und Mai 2020 habe ich sieben unterschiedliche Kunst- und Kulturschaffende per Zoom interviewt. Sie alle gestalten auf ihre Weise das kulturelle Leben mit, sei dies in der Region, in der Schweiz oder über die Landesgrenzen hinaus. Sie tun dies indem sie Fachzeitschriften produzieren, Radioprogramme verantworten, Räume designen, Kunstwerke schaffen, Nachwuchskünstler unterstützen oder sich für die Verteilung der Kulturgelder einsetzen.

Ich sprach mit Ihnen über grosse und kleinere Auswirkungen des Lockdowns auf ihr Schaffen. Was war das Schlimmste? Was beflügelte sie? Welchen sozialen Mehrwert leisteten sie während des Lockdowns? Und für welche Art von Kultur stehen sie besonders ein?

Entdecken Sie in Teil 2 zwei spannende Persönlichkeiten mit kurzen Audio-Statements. Teil 3 folgt in zwei Wochen.

© Alena Fabia Schwarz

© Alena Fabia Schwarz

© Anna-Lena Walther

© Anna-Lena Walther

Daniel Hunziker, Designer, Szenograf, Ingenieur; Daniel Hunziker Design Identity AG

Kreativ-Schaffende sind wie Spitzensportler: Was ihnen in der Krise hilft und inwiefern die Digitalisierung das analoge Kulturerleben nicht ersetzen wird.

Interview geführt am: 30.4.2020

Judit Solt, Architektin und Chefredakteurin TEC21

Wir brauchen eine grosszügige Gestaltung öffentlicher Räume statt totaler Regulierung unseres Lebensraums. Jetzt umso dringender.

Interview geführt am: 31.4.2020

Jetzt erst recht! Weitermachen. Alle sieben Gesprächspartner überraschten mich mit einer grundsätzlich positiven Haltung, mit der sie der Krise aktiv begegneten. In der Steigung Gas geben. Dies sei ihre Devise als langjährige Joggerin – so antwortete mir beispielsweise Claudia Jolles, Chefredakteurin des Kunstbulletins. Auch bei den Freischaffenden zeigte sich eine gewisse Krisenresistenz. Eine einfache Zeit sei es nicht, aber einfach sei es auch vor Corona nicht gewesen, so Daniel Hunziker, Designer, Szenograf und Ingenieur. Mit einem umso stärkeren «wir sind für euch da!» suchten alle sieben Interviewten mit ihren Kunden, Partnern, Lesern, Zuhörern oder der Familie nach gangbaren Lösungen während des Lockdowns. Das Radio Zürisee etwa förderte die Hilfskultur innerhalb der Bevölkerung, wie Tony Immer, Programmleiter Radio Zürisee, erzählte. Darko Panic, Geschäftsleiter der Fachmedien wiederum kämpfte mit seinem Team für die Akquise von Werbegeldern, damit Fachzeitschriften weiterhin publiziert werden konnten. Gerade in der Krise wollten und brauchten die Menschen Lesestoff und Infos. Wie eminent wichtig die Schaffung vielseitiger öffentlicher Räume für das kulturelle Zusammenleben im urbanen Raum ist, damit setzt sich Judit Solt, Chefredakteurin des Architektur- und Ingenieurfachmagazins TEC21 unter anderem auseinander. Für die öffentliche Sichtbarkeit junger Künstler setzt sich Una Szeemann, Künstlerin und Expertin Swiss Art Awards, ein.

Wie ein roter Faden zog sich die Sehnsucht nach der der Live-Begegnung und eine gewisse Kritik an der nicht sehr sinnlichen Überdigitalisierung durch all meine Gespräche.

Selbstverständlich vernahm ich auch Unverständnis und Wut, weil gewisse Kulturbereiche nicht sofort finanzielle Unterstützung erhielten. Wo fängt Kultur an, wo hört sie auf? Welche Art Kultur wird unterstützt? Dass die Antworten darauf nicht immer nachvollziehbar oder fair sind, war auch für Franz Xaver Risi, Kulturbeauftragter des Kanton Schwyz, eine unangenehme Erkenntnis. Doch mit der Verteilung der Kulturfördergelder konnte er zahlreiche Kulturschaffende finanziell unterstützen und vor allem dazu ermutigen, das öffentlich-kulturelle Leben während Corona weiterzupflegen.

Durch die Gespräche wurde mir klar, dass die Gesellschaft Kultur gerade in Krisenzeiten braucht. Doch welche Art von Kultur wirklich gefragt ist – ob gute Kommunikation, gegenseitige Unterstützung, ein Museumsbesuch, ein Live-Balkon-Konzert, das Teilen gemeinsamer Erfahrungen… – die Antworten darauf sind so individuell wie unsere Erfahrungen während des Lockdowns. Manche Menschen hatten Musse, die anderen hingegen Doppel- und Dreifachbelastungen. Wie auch immer, ich bin überzeugt, wir alle kommen nicht darum herum, insbesondere jetzt nach Antworten zu suchen, und zwar Antworten auf Fragen, die uns bereits vor Corona beschäftigt haben. Zum Beispiel: Welche Art Mensch will und kann ich sein – für mich, mein Umfeld, innerhalb der Gesellschaft? Welchen kulturell wertvollen Beitrag kann ich leisten? Wer oder was unterstützt mich dabei? Um solche Fragen zufriedenstellend zu beantworten braucht es Zeit, Mut, Wille und Durchsetzungskraft. Die kurzen Gesprächsausschnitte dienen sicher zur Inspiration!


Alexandra Könz (*1976) studierte Germanistik, Filmwissenschaft und Kunstgeschichte in Zürich und Berlin und promovierte anschliessend zum Erzählen in zeitgenössischer Performancekunst in Zürich und Wien. Seit jeher in Kunst, Kultur und Wirtschaft tätig, setzt sie sich seit Oktober 2019 als Operative Leiterin im Vögele Kultur Zentrum für eine vielfältige Auseinandersetzung mit Gegenwartsthemen ein.

 
Vögele Kultur Web