Die Zukunft der Ernährung

Vögele Kultur Zentrum •  40 Minuten

 

Können wir im Jahr 2050 über 9 Milliarden Menschen ernähren?

Ja, sagt die Wissenschaft. Unser Planet hat grundsätzlich die Möglichkeit, alle Bewohner ausreichend zu ernähren, ohne dass dabei die Ökosysteme aus dem Gleichgewicht fallen. Damit das gelingen kann, ist nichts weniger als eine Ernährungsrevolution nötig.

Doch wie wollen wir diese Herausforderung als Gesellschaft bewältigen? Welche Wege führen zum Ziel? Und welche Ernährungstrends – von Algen über Insekten bis zu Laborfleisch – haben wirklich Zukunft?

Anlässlich der Podiumsdiskussion «Future Food: Was essen wir morgen» hätten wir diese und viele weitere spannende Fragen mit Gästen im Vögele Kultur Zentrum diskutiert. Nun bringen wir Ihnen die anregenden Inputs direkt nach Hause. Unsere Gäste haben ihre Gedanken ins Digitale verlegt und präsentieren diese mindestens genauso inspiriert - und für alle zugänglich!

Hören und sehen Sie rein in die vielfältigen Anregungen - und diskutieren Sie dann am Küchentisch über die Zukunft unserer Ernährung! Denn die Ernährungsrevolution funktioniert nur, wenn wir sie alle mittragen.

Haben Sie Fragen an die Experten? Schreiben Sie uns: info@voegelekultur.ch Gerne leiten wir sie zur Beantwortung weiter!

 

Zukunft 1: Rein pflanzlich?

Lauren Wildbolz setzt sich als Expertin und Catering-Unternehmerin für vegane Ernährung ein. Sie glaubt, dass wir in 5-10 Jahren 50 % der tierischen Produkte durch pflanzliche ersetzt werden. Im Video erklärt sie ihre Vision einer zukünftigen Ernährung und zeigt auf, wie weit die molekulare und zellulare Forschung schon ist… Future Food, oder doch schon Realität?

Lauren Wildbolz (*1981) eröffnete 2010 das erste vegane Restaurant der Schweiz. Seit 2012 betreibt sie ein gehobenes Cateringunernehmen, dass sich der rein pflanzlichen Küche verschrieben hat. Sie publizierte bis anhin zwei Bücher zur veganen Ernährung und Ethik. Momentan arbeitet sie an ihrem dritten Buch zum Thema “Zukunft der Ernährung”.


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Zukunft 2: biologisch und technologisch?

Seit über 40 Jahren beschäftigt sich Urs Niggli mit der biologischen Landwirtschaft und ist mit diesem Thema im Rucksack um die ganze Welt gereist. Im Podcast mit Andrin Willi, renommierter Gastrokritiker, spricht er über globale Perspektiven einer fairen und nachhaltigen Lebensmittelproduktion, die neusten technologischen Entwicklungen und die “Ernährungsrohstoffe” der Zukunft…

Andrin Willi (*1976) ist einer der profiliertesten Gastrokritiker des Landes und war Chefredaktor der Zeitschriften Salz&Pffeffer und marmite. Nebenbei arbeitet er als Epicurean-Consultant und berät diverse namhafte Firmen, Hotels und Gastronomen.

Urs Niggli (*1953) Schweizer Agrarwissenschaftler und Vordenker des biologischen Landbaus. Aktuell ist er Teil der Wissenschaftsgruppe, die den Welternährungsgipfel 2021 plant und bei der ausserparalamentarischen Kommission, die den Bundesrat zur globalen Ernährungssicherheit berät.


Zukunft 3: Kein Selbstbedienungsladen mehr?

Die Geoökologin Prof. Dr. Nina Buchmann forscht an der ETH zum Thema Welternährung. Im Interview erklärt sie, wo die grössten Herausforderungen in der Nahrungsmittelproduktion sind und weshalb wir dringend unsere Ernährungsgewohnheiten überdenken müssen.

Der Text ist ein Auszug aus dem Interview im Bulletin “zu Tisch”(2020), dass Sie in unserem Online-Shop bestellen können.

 
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Roland Grüter: Kann man über sein Essverhalten überhaupt einen Beitrag leisten, die Welt weniger zu belasten?

Nina Buchmann: Durchaus. Wir können einiges bewirken. Denn auf dem langen Weg durch das Ernährungssystem entsteht zum Beispiel eine grosse Menge Treibhausgase: während des Anbaus, der Veredelung, der Lagerung und während des Transports von Lebensmitteln. Man schätzt, dass etwa 30 Prozent aller Treibhausgasemissionen mit unserer Ernährung zu tun haben. Will heissen: Ein Drittel des Food prints, den jeder Mensch setzt, stammt von dessen Ernährungsweise.

Das Sparpotenzial ist entsprechend gross: Was müsste passieren, dass jeder von uns dies besser ausschöpft?

Darauf gibt es keine einfache Antwort. Vielleicht das: Wir müssen die Menschen besser informieren und stärker für das Thema sensibilisieren. Was genau umfasst das Ernährungssystem? Welche Faktoren spielen darin mit? Wir müssen mehr darüber reden. Die Diskussion muss aber nicht zwangs läufig dogmatisch geführt werden. Man kann den Menschen auch zeigen, dass Nachhaltigkeit lustvoll ist, dass die nachhaltigen Speisen sehr gut schmecken. Und wir müssen unsere Kinder lehren, woher Lebensmittel kommen und wie sie damit bewusster umgehen können. Denn ein Grossteil davon landet noch immer im Mülleimer.

Weltweit wird ein Drittel der Lebensmittel weggeworfen.

Genau. In der gesamten Wertschöpfungskette bzw. im Ernährungssystem wird ein Drittel der weltweit produzierten Kalorien entsorgt – damit könnte man viele Menschen satt bekommen. Auch in Schweizer Haushalten landen tonnenweise Lebensmittel im Abfall. Hier kann jeder von uns seinen Beitrag leisten – und Foodwaste vermeiden. Denn Lebensmittel entstehen unter grossem Aufwand. Sie werden geerntet, gewaschen, sortiert, erhitzt, verpackt, um die Welt transportiert und oft gekühlt: Wenn sie weggeworfen werden, geht daher auch die Energie, die an sie gebunden ist, verloren.

Die geltenden Hygienebestimmungen befeuern die Wegwerfhaltung.

Durchaus. Die aufgedruckten Verkaufs- und Verfallsdaten halten schwarz auf weiss fest, wie lange man ein Joghurt oder die Spaghetti verkaufen oder vermeintlich essen darf. Diese Daten ersetzen aber nicht den gesunden Menschenverstand. Man kann ja sehen, riechen oder schmecken, ob ein Joghurt noch geniessbar ist, auch wenn das Datum abgelaufen ist.

Viele reden meist über die Qualität der Lebensmittel, aber kaum je über die Quantität. Im Super markt begegnen wir rund 170 000 Produkten – müsste man aus ökologischer Sicht das Sortiment nicht dringend ausmisten?

Das kann man durchaus diskutieren. Aber solche Fragen werden oft als Eingriffe in die Privatsphäre gesehen. Jede Person will frei entscheiden können, was und wie viel sie isst.

Wir geben nur rund 6 Prozent unseres Nettoeinkommens fürs Essen und Trinken aus. Sind Lebensmittel zu günstig?

Sagen wir es so: Wären Lebensmittel teurer, hätten sie für uns einen grösseren Wert, wir würden wohl achtsamer damit umgehen. Höhere Preise würden wahrscheinlich unser Budget nicht mal zusätzlich belasten, weil wir uns im Gegenzug das Geld für Weggeworfenes sparen würden. Denn wer wirft schon ein Lammrack für 30 Franken in den Kübel?

Ist das grundsätzlich möglich: Kriegen wir die 10 Milliarden Menschen der Zukunft alle satt?

Durchaus. Es gibt viele Möglichkeiten, die produzierte Kalorienmenge ist ausreichend. Zudem: Knapp 1 Milliarde Menschen hungern, aber diesen stehen 1 Milliarde Übergewichtige gegenüber. Ich bin mir sicher: Wir werden alle satt, aber wir werden unsere Ernährungsgewohnheiten über denken müssen.

Will heissen?

Die Welt kann nicht weiterhin ein Selbstbedienungsladen bleiben, in dem wir uns rund ums Jahr mit Orangen aus Spanien, Shrimps aus Asien und Kaffee aus Afrika eindecken. Wir müssen in der westlichen Welt die Kalorienzahl reduzieren, wieder mehr stärkehaltige Produkte essen, weniger Fleisch, und auch die Wege der Lebensmittel müssen kürzer oder emissionsärmer werden. Dann schaffen wir es, die Menschen mit der zur Verfügung stehenden Fläche zu ernähren. Voraussetzung dafür aber ist, dass sich der Klimawandel nicht weiter verschärft.

Professorin Nina Buchmann (*1965) promovierte 1993 in der Pflanzenökologie und habilitierte sechs Jahre später an der Universität Bayreuth in Botanik. Seit 2003 ist sie Professorin für Graslandwissenschaften am ETH-Institut für Agrarwissenschaften – und seit 2017 Vorsteherin des ETH-Departements für Umweltsystemwissenschaften.


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